Affekt und Affektvermögen

Analog zu Marx‘ Unterscheidung zwischen Arbeit und Arbeitskraft sollte man zwischen einem Affekt und dem entsprechenden Affektvermögen unterscheiden.

So kann man zum Beispiel sagen, jemand fühle sich zwar im Moment nicht schuldig (Affekt), besitze aber durchaus ein Schuldgefühl (Affektvermögen). Oder jemand schäme sich zwar im Moment nicht, habe aber durchaus ein Schamgefühl. (Im Gegensatz zu Menschen, von denen man sagen kann, dass sie überhaupt kein Schuld- oder Schamgefühl besitzen; dass es ihnen also grundsätzlich am jeweiligen Affektvermögen fehlt und sie darum notwendigerweise keine Schuld oder Scham empfinden können.)

Interessant nun, dass sich diese Unterscheidung bei bestimmten Affekten anscheinend nicht treffen lässt. Man kann kaum sagen, jemand sei ein neidischer Charakter, verspüre aber im Moment keinen Neid. Oder jemand sei ein Eifersüchtiger, er empfinde nur gerade keine Eifersucht.

Es scheint sich vielmehr so zu verhalten: Wenn das eifersüchtige Affektvermögen gegeben ist, dann ist immer auch die entsprechende Leistung gegeben.

Wenn das richtig ist (und es sich nicht doch wie beim Jähzornigen verhält, der erstaunlicherweise manchmal ruhige Momente hat), dann stellt sich die Frage, warum.

Könnte man sagen: Neid, Eifersucht, Ressentiment etc. sind paranoide Affekte, mithin Besetzungen des Ich. Wohingegen andere Affekte objektlibidinöse Besetzungen sind – und es somit sein kann, dass dem Affektvermögen manchmal der Anlass, das Objekt, fehlt?

3 Kommentare

  1. Daß Neid, Trotz, Geiz, Eifersucht, Aktualisierungen narzißtischer Affekte sind, die mit dem ihnen eigenen Vermögen zusammenfallen, leuchtet mir ein. Bei Affekten wie Scham und Schuld scheint es komplizierter zu sein – und zwar durch das Eingreifen von ubw Verschiebungen und Substitutionen. Das Objekt fehlt nicht, es ist nur nicht dort, wo man es vermutet. Die Analysantin schämt sich zu Tode, wenn sie von ihren Eskapaden ihrer Teenangerzeit erzählt, während sie kein Schamgefühl dabei empfindet, sich seit Jahren von ihrem Mann drangsalieren zu lassen. Die Scham besitzt ein objektlibidinöses Vermögen, das sich aber narzißtisch – im Sinne des neurotischen Phantasmas – realisieren kann. Die Scham von früher ist objektlibidinös begründet, ihr Gebrauch aber ist ichlibidinös, weil sie das Objekt in ihr Phantasma „hineinholt“, um weiterhin die masochistischen infights mit ihrem Mann „genießen“ zu können. Vom Vergleich mit Marx wüßte ich noch gerne mehr.

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  2. Die Unterscheidung zwischen objektgerichteten vs. auf das Ich gerichteten Affekten finde ich interessant, ist das schon irgendwo genauer ausgeführt worden?
    Aber warum sollten die einen intermittierend auftreten, die anderen aber permanent wirken? Nur weil das Ich eben ein ständiger Begleiter ist? Heißt das aber zugleich auch, dass wir es immer in der gleichen Form und Stärke besetzen? Wäre hier nicht Freuds Modell des Protplasmatierchens angebrachter, in dem er von einer konstanten Libidomenge ausgeht, die sich aber abwechselnd auf die Objekte ausrichtet oder ins Ich zurückzieht – wie die Pseudopodien des kleinen Tierchens? Und entspricht diese Variabilität (bis zu einem gewissen Maß) nicht auch der alleedirektesten Erfahrung?

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  3. Scham und Schuld sind doch eigentlich, zusammen mit Angst und Wut, die Kernaffekte im Kontext von Traumatisierungen, was auch mit dem „Eingreifen von ubw Verschiebungen und Substitutionen“ zusammengeht. Es hat vermutlich noch niemand auf einer Folterung unmittelbar mit Neid oder Eifersucht reagiert. Neid, Trotz, Geiz und Eifersucht, als Aktualisierungen narzißtischer Affekte, wären dann reaktive Phänomene, Repräsentanten einer ubw Abwehr im Dienste des Ich. Die Selbspsychologie würde an dieser Stelle von einer dohenden Fragmentierung des Selbst sprechen.

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