Verdrängung

Eigentlich wollte ich Euch etwas über die verschiedenen Arten der Übertragung bei Freud schreiben, aber jetzt ist mir ein Gedanken dazwischen gekommen. Er knüpft an das bekannte Gleichnis Freuds aus der „Verdrängung“ (Stud.ausg., III, 113) an: „Das allgemeine Schicksal der den Trieb repräsentierenden Vorstellung kann nicht leicht etwas anderes sein, als daß sie aus dem Bewußtsein verschwindet, wenn sie früher bewußt war, oder vom Bewußtsein abgehalten wird, wenn sie im Begriff war, bewußt zu werden. Der Unterschied ist nicht mehr bedeutsam; er kommt etwa darauf hinaus, ob ich einen unliebsamen Gast aus meinem Salon hinausbefördere oder aus meinem Vorzimmer oder ihn, nachdem ich ihn erkannt habe überhaupt nicht über die Schwelle der Wohnungstür treten lasse.“ Tatsächlich ist der Unterschied vernachlässigbar. Den Lumpen, der im Salon zu randalieren begonnen hat, werde ich beim nächsten Versuch schon an der Schwelle abfangen; ebenso seine  sauberen Freunde und die Abkömmlinge seiner Gang. Aber was ist, wenn ein Fremder vor der Tür steht? Er gehört auch nicht zu den geladenen Gästen. Werde ich ihn abweisen? Es ist jedenfalls nicht ohne Risiko, ihn einzulassen. Denken wir an Pasolinis „Teorema“. Nachdem der Gast die Villa der Industriellenfamilie betreten hat, bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Der Hausherr schließt die Firma und wirft am mailänder Bahnhof seine Kleider von sich. Seine kühle elegante Gattin prostituiert sich, die Tochter landet in der Psychiatrie, der Sohn wird ein homosexueller Künstler, der auf seine Bilder uriniert und die Haushälterin wird eine Heilige in ihrem Heimatdorf. Man kann gar nicht sagen, daß sich die Dinge verschlechtert haben; sie sind nur radikal anders und erotisch geworden. Der Lump und der Fremde verkörpern zwei unterschiedliche Arten der Verdrängung: der Erste konserviert die Gegenwart durch die Vergangenheit. Durch seine Abwesenheit (verdrängter Vorstellungsinhalt) dominiert er insgeheim die Salongesellschaft. Der Zweite ist die Verdrängung, die aus der Zukunft kommt, oder genauer: aus der versäumten Zukunft der Vergangenheit. Das Schicksal des unbewußten Affekts im System Ubw bei der Verdrängung trifft auf den Fremden zu: diesem entspricht „ebendort nur eine Ansatzmöglichkeit, die nicht zur Entfaltung kommen durfte“ („Das Unbewußte“, III, 137). Die Vorstellung ist leer, nur virtuell vorhanden. Die Gesellschaft langweilt sich, bleibt aber unter sich: heute ist „geschlossene Gesellschaft“.

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